Dekarbonisierung der chemischen Industrie

Die chemische Industrie hat zum Ziel, eine führende Rolle am Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu spielen. Schon heute ist sie durch ihre Produkte wie spritsparende Leichtbaustoffe bei Autos oder energiesparende Wärmedämmung für Gebäude maßgeblich daran beteiligt. Wo die Potentiale zur Dekarbonisierung in der eigenen Produktion liegen und wieviel CO2 durch eine klimaschonende Produktion in Österreich eingespart wird, hat der Fachverband der Chemischen Industrie vom Institut für Industrielle Ökologie berechnen lassen: 

Studie: Kunststoffrecycling Schlüssel zur Klimaneutralität in der Chemieindustrie

Forcierung der Kreislaufwirtschaft könnte zusätzlichen Energiebedarf auf 30 TWh halbieren.

Die chemische Industrie ist eine Schlüsselindustrie für die Dekarbonisierung: Fast alle Green Deal-Lösungen wie Sonnenkollektoren, Batterien, Windturbinen und Wasserstoff bis hin zu Gebäudeisolierungen und leistungsstärkere Elektronik brauchen Stoffe aus der chemischen Industrie. Gleichzeitig muss aber auch die Branche selber künftig klimaneutral produzieren, was mit einem deutlich höheren Energiebedarf verbunden ist. In einer 2018 veröffentlichten Untersuchung belief sich der zusätzliche benötigte erneuerbare Strom auf mehr als  60 TWh, was etwa 60 Kraftwerken der Größenordnung des Donaukraftwerks Freudenau entspricht.

Auf diese Berechnungen aufbauend  hat der Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO) eine Folgestudie* in Auftrag gegeben und prüfen lassen, wie eine klimaneutrale Produktion mit einem deutlich niedrigeren Bedarf an zusätzlichem erneuerbarem Strom umgesetzt werden könnte. Die Ergebnisse zeigen, dass  neben der Verwendung von erneuerbarem Wasserstoff und dem Einsatz von biobasierten Produkten der Schlüssel zur Dekarbonisierung in einer massiven Forcierung von Kunststoffrecycling liegt. Da  Treibhausgase erst bei der Verbrennung von Kunststoffen emittiert werden, nicht jedoch wenn diese im Kreislauf geführt werden, könnten in Österreich so jährlich bis 2,4 Millionen Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Durch die Wiederverwertung von Kunststoffen könnte bis 2040 gleichzeitig die für die Dekarbonisierung der Branche zusätzlich benötigte Energie von 60 auf 30 TWh halbiert werden. „Bei der Entwicklung von Klimaschutzmaßnahmen wird häufig unterschätzt, welche großen Treibhausgas-Reduktionspotenziale eine umfassende Kreislaufwirtschaft beisteuern könnte. In der Chemieindustrie in Österreich würde der zusätzliche Energiebedarf für die Dekarbonisierung durch Kunststoffrecycling um die Hälfte sinken. Die Unternehmen der Branche arbeiten bereits intensiv an technischen Lösungen für die Transformation. Die Energie- und Klimawende kann nur gelingen, wenn alle Potentiale ausgeschöpft werden. Neben dem Ausbau erneuerbarer Energien und der Förderung von Wasserstofftechnologien braucht es die Kreislaufwirtschaft als dritte große Säule auf dem Weg zur Klimaneutralität “, so Sylvia Hofinger, Geschäftsführerin des FCIO.

Anerkennung von Recyclingmaßnahmen Voraussetzung

Um die Potentiale der Kreislaufwirtschaft für die Klimawende nutzen zu können, ist die Anerkennung von Recycling als Klimaschutzmaßnahme Voraussetzung. Dazu fehlen jedoch noch die gesetzlichen Regelungen, denn derzeit wird die Wiederverwertung von Kunststoffen  nicht als Beitrag zum Klimaschutz anerkannt.  „Um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen, benötigen wir dringend die EU-weite Anerkennung von Kunststoffrecycling als Dekarbonisierungsmaßnahme, wenn bei der Produktion auf originäre fossile Rohstoffe verzichtet wird. Ebenso wichtig ist die rechtliche Gleichstellung von chemischem Recycling“, so Hofinger.

CO2-neutrale Chemie durch Technologiemix aus Recycling, Wasserstoff und Biomasse

Neben der Forcierung von Kunststoffrecycling hat insbesondere der Einsatz von erneuerbarem Wasserstoff eine entscheidende Bedeutung auf dem Weg zu einer klimaneutralen Produktion in der Chemieindustrie. Eine Schlüsseltechnologie dabei ist der Einsatz von Carbon Capture and Usage (CCU) Konzepten, bei denen beispielsweise Ethylen oder Propylen zur Herstellung von Kunststoffen aus einer Mischung von erneuerbarem Wasserstoff und CO2 erzeugt werden. Das dafür notwendige Kohlenstoffdioxid kann aus industriellen Prozessen oder Kraftwerksabgasen abgetrennt werden, wodurch massive Treibhausgaseinsparungen erzielt werden. Ein ebenfalls vielversprechender Weg zur Neusynthese chemischer Stoffe liegt im Einsatz von biobasierten Rohstoffen, wobei eine kaskadische Nutzung angestrebt und Flächenkonkurrenz vermieden werden muss.  

Klimaneutralität braucht wettbewerbsfähige Strompreise

Entscheidend für eine erfolgreiche Transformation der chemischen Industrie sind letztendlich vor allem ökonomische Faktoren.  Das betrifft insbesondere die Kosten für die Entwicklung der neuen Technologien und den Aufbau der nötigen Infrastruktur, sowie  die laufenden Kosten für Strom. „Die Erzeugungskosten von grünem Wasserstoff hängen maßgeblich von den Energiekosten ab. Um Klimaneutralität erreichen zu können, ist es zwingend notwendig, dass ausreichend erneuerbarer Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung steht“, so Hofinger.

*Die komplette Studie inkl. aller relevanten Zahlen und Grafiken finden Sie unter "Studie: Die chemische Industrie auf dem Weg zur Klimaneutralität 2040 - Maßnahmenmix aus Recycling und Dekarbonisierung der Rohstoffe als zielführende Lösung".  

Perspektiven der Dekarbonisierung für die chemische Industrie in Österreich

FCIO-Studie zeigt: Dekarbonisierung der chemischen Industrie bewirkt 12-fachen Stromeinsatz

Die Studienautoren kommen zu dem Schluss, dass die chemische Industrie ihren Treibhausgasausstoß bis 2050 zur Gänze eliminieren könnte. Allerdings ist dieser Weg mit enorm viel zusätzlichem Strombedarf verbunden. Wenn die Chemiebranche bis 2050 auf Erdöl und Erdgas als Rohstoff verzichtet, so bräuchte sie dafür Ökostrom in der Kapazität von 60 Wasserkraftwerken Freudenau. Das entspricht fast dem Stromverbrauch von ganz Österreich im Jahr 2016. Auch andere Industriebranchen und Sektoren wie Verkehr oder Gebäude werden entsprechende Dekarbonisierungsschritte setzen müssen, wodurch wir beim künftigen Bedarf an erneuerbarem Strom rasch an die Grenzen des technisch Machbaren stoßen.

Um klimaneutral zu produzieren, müsste die Branche ihren Kohlenstoff aus CO2-Abgasen und Biomasse beziehen, den benötigten Wasserstoff mittels Elektrolyse aus Wasser gewinnen sowie die Dampferzeugung verstromen. Diese Verfahren sind wesentlich energieintensiver als die Herkömmlichen, die Rohöl und Erdgas als Ausgangsstoffe haben.

Investitionskosten erschweren Konkurrenzfähigkeit

Abgesehen vom enormen Strombedarf und der dafür notwendigen Energieinfrastruktur müsste die chemische Industrie jährlich rund 580 Millionen Euro investieren, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Gleichzeitig ist mit einem deutlichen Anstieg der Produktionskosten zu rechnen. Zusätzlich sind Investitionen in den Ausbau von Erzeugungsanlagen, von Netzen und Speicheranlagen zu tätigen, die letztendlich die Verbraucher tragen müssen.

Durch die hohen Kosten wäre Österreichs Chemie im internationalen Wettbewerb nicht mehr konkurrenzfähig. Die Branche ist international ausgerichtet und exportiert mehr als zwei Drittel ihrer Erzeugnisse. Nur wenn die Maßnahmen zur Dekarbonisierung auch wirtschaftlich darstellbar sind, ist es möglich, auch andere Regionen zum Mitmachen zu bewegen.

Denn die Herausforderung Klimawandel kann nicht regional oder gar national im Alleingang gelöst werden. Der ganze Planet muss hier an einem Strang ziehen – gleichzeitig sind wir von einem globalen Gleichschritt noch weit entfernt. Die EU hat sich im Unterschied zum Rest der Welt vergleichsweise ambitionierte und konkrete Klimaziele gesetzt. In den meisten anderen Regionen der Welt stehen derartige Bestrebungen noch aus. Ein globaler CO2-Preis wäre hierfür die geeignete Lösung.

Die Dekarbonisierung stellt eine enorme Herausforderung für sämtliche Bereiche – Industrie, Haushalte, Verkehr und Landwirtschaft dar. Gleichzeitig ist gerade die chemische Industrie eine Branche, die durch ihre Innovationskraft einen erheblichen Anteil zur Dekarbonisierung leisten kann, insbesondere wird auch der Kreislaufwirtschaft dabei künftig eine große Bedeutung zukommen. Klar ist, dass ein gesellschaftliches Umdenken zu einem nachhaltigeren Umgang mit Ressourcen notwendig sein wird und jeder einzelne von uns einen Beitrag leisten muss.

Im Rahmen der Studie wurden drei Szenarien (Intermediate/Ambitous/Maximum) für eine Dekarbonisierung der chemischen Industrie bis 2050 betrachtet. Die Grafik verdeutlicht ihre Auswirkungen auf CO2-Reduktion, Bedarf an sauberem Strom, abgeschiedenen CO2 und Biomasse. Der letzte Balken zeigt die jährlich nötigen Investitionskosten, die sich daraus allein für die chemische Industrie ergeben.


Download Dekarbonisierungsstudie

EU-Vergleich: 60 Prozent geringere Klimabelastung bei Chemieproduktion in Österreich

Ob bei der Herstellung von hochwertigen Kunststoffen, lebensrettenden Medikamenten oder beim Einsatz von innovativen Technologien zur Energieeffizienz. Österreichs chemische Industrie gehört im internationalen Vergleich zu den Vorreitern bei der klimafreundlichen Produktion. In Österreich werden lediglich 37,46 Tonnen CO2 pro Terajoule (TJ) Energieverbrauch in der Herstellung von Produkten der chemischen Industrie freigesetzt. Damit liegt Österreich auf Platz 3 im EU-Vergleich. Weniger Treibhausgase in der chemischen Produktion emittieren nur Litauen und Schweden.

Der EU-Schnitt liegt bei 61 Tonnen CO2/TJ. Das entspricht etwa einer 60 Prozent höheren Treibhausgasbelastung als in Österreich. Große Produktionsländer wie Deutschland oder Großbritannien schneiden mit knapp 70 Tonnen CO2/TJ sogar noch schlechter ab. Zu den Schlusslichtern bei den Ländern mit bedeutender Chemieproduktion gehört Polen mit 108,92 Tonnen CO2/TJ. Das ergibt die Auswertung einer aktuellen Studie des Instituts für Industrielle Ökologie, bei der unter anderem die Emissionsintensität in der Chemieproduktion untersucht wurde.

Moderne Technologien, Effizienz und Energiemix entscheidend 

Die Gründe für die niedrigeren CO2-Emissionen bei der Produktion in der chemischen Industrie liegen vor allem im Einsatz modernster Technologien bei der Herstellung von Chemikalien und Gütern und beim Energiemix in der Stromproduktion. Ein entscheidender Faktor sind die Bemühungen der Unternehmen, ihren Rohstoff- und Ressourceneinsatz ständig zu optimieren. Ebenso die Entwicklung von innovativen Materialien und die Verbesserung von Prozessen, um weniger Energie zu verbrauchen. Ein weiterer wichtiger Faktor bei der Minimierung der Treibhausgasemissionen bei der Produktion ist der Energiemix bei der Stromerzeugung. Hier gibt es klare Standortvorteile für Österreich. Mit einem Anteil von etwa 75 Prozent Erneuerbarer Energie durch Wasserkraft, Wind- und Sonnenenergie ist die Produktion von chemischen Gütern weitaus klimafreundlicher möglich als in Ländern mit einem hohen Anteil fossiler Brennstoffe bei der Stromerzeugung.

Hohe Treibhausgasemissionen bei der chemischen Produktion in Asien und den USA

Dies zeigt sich insbesondere, wenn man über den europäischen Tellerrand blickt. Vor allem in asiatischen Schwellenländern ist die Klima-Belastung bei der Produktion sehr hoch. Mit 134,46 Tonnen CO2/TJ liegt der Wert der Emissionen in Indien mehr als dreimal so hoch wie in Österreich. Eine entscheidende Ursache dafür ist der Anteil an Kohle bei der Stromproduktion. Dieser liegt am indischen Subkontinent bei etwa 75 Prozent. Noch bedeutender ist dieser Faktor in China auf Grund der globalen Bedeutung der chinesischen Chemieindustrie. Bis 2030 wird diese wahrscheinlich für mehr als die Hälfte der globalen chemischen Produktion verantwortlich sein. In der aufstrebenden Supermacht liegen die Treibhausgasemissionen bei 104,36 Tonnen CO2/TJ. Auch hier ist eine der Hauptursachen ein sehr hoher Anteil von Kohle bei der Stromproduktion, der in China knapp 70 Prozent ausmacht. In den Vereinigten Staaten von Amerika, der dritte große Player im Chemiebereich neben Europa und China, liegen die Emissionswerte der chemischen Industrie ebenfalls deutlich über denen Österreichs. Mit 70,82 Tonnen CO2/TJ ist die Lage zwar weniger dramatisch als in Asien, die Treibhausgase bei der Produktion sind aber immer noch fast doppelt so hoch wie in der Alpenrepublik. Generell zeigen die Ergebnisse der Studie, dass pro emittierter Tonne CO2 in der chemischen Industrie in Österreich etwa 1,8 Tonnen CO2 global eingespart werden könnte. „Die Belastung für das Klima durch die Industrie ist in Fernost und den USA deutlich höher als in Europa. Wenn man die Produktion chemischer Güter von Österreich nach China oder Indien verlagert, würde eine zusätzliche Belastung von mehreren Millionen Tonnen CO2 jedes Jahr entstehen. Wer ernsthaft Klimaschutz will, muss auch dafür eintreten, die industrielle Produktion im chemischen Bereich in Österreich zu halten“, so Hubert Culik zu den Ergebnissen der Studie.

Politische Rahmenbedingungen entscheidend für den Produktionsstandort

Um am Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben, braucht die chemische Industrie Rückenwind von Seiten der Politik. Ein zentraler Punkt dabei ist die Verwendung der Einnahmen durch den Emissionshandel. Die Erlöse aus den Zahlungen der heimischen Industrie sollten für Low-Carbon-Projekte zur Verfügung stehen, wie es in anderen europäischen Ländern längst Realität ist. Die Rückführung der Einnahmen könnte man für klimafreundliche Investitionen und für einen Technologiewechsel verwenden. Ebenso wichtig wäre der Einsatz für eine weltweite, einheitliche CO2-Bepreisung. Nur so kann verhindert werden, dass industrielle Produktion aus emissionsarmen Hochtechnologieländern in Regionen abwandert, wo für klimaschädliche Emissionen keine oder geringere Kosten anfallen.

Download Studie „climApro – Welche Effekte kann eine Veränderung der industriellen Produktionsstrukturen in Österreich für den globalen Klimaschutz bewirken? Eine Potenzialanalyse“, August 2019

Download Factsheet Chemische Industrie